Die scheinbar unendlichen Möglichkeiten des Machine oder Deep Learning stehen bereits als Game Changer fest. Künstliche Intelligenz verändert alles – wie wir kommunizieren, wie wir arbeiten und wahrscheinlich auch wie wir leben werden.
In den letzten Monaten haben die Large Language Models (LLMs) als generative KI breitenwirksam beeindruckt, zunächst mit ihren sprachlichen und später audiovisuellen Kompetenzen. Ihre Fähigkeiten entwickeln sich permanent weiter. Am Start stehen u.a. bereits RAGs, LAMs und LCMs mit noch viel umfangreicheren Möglichkeiten.
Früher nannte man Computer noch Blechtrottel, heute nennt man sie superintelligent. Morgen übernehmen sie die Regie unseres (Arbeits)lebens?
Sind Computer damit erwachsen geworden oder pubertieren sie gerade? Oder ist das alles nur ein geschickter Narrativ findiger Marketingstrategen des Silicon Valleys?
Wir wollten es genau wissen und haben uns im CLC Kernteam zu einer gemeinsamen Lernreise über künstliche Intelligenz verabredet.
Rein ist Land der unbegrenzten Möglichkeiten, raus in den Wilden Westen.
Zu fünft brachen wir auf: 13 Wochen, 2 Lernstränge.
Erstens: Jede:r verfolgt eigene Lernziele rund um KI und verfolgt diese eigenständig. Zweitens: wir bündeln unsere Aktivitäten, kuratieren Quellen und lernen so über den wöchentlichen Austausch und gemeinsame Aufgaben. Eine Lernreise, völlig frei, ohne Skript und Vorgaben. Einfach mal losziehen.
(Fast) alle von uns waren lernreisenerfahren, so war die Struktur für die Safari rasch gefunden: wöchentliche Sync Meetings, gehostet und moderiert durch einen von uns, dazwischen Selbstlernen. Zusätzlich hatten wir alle 3-4 Wochen planmäßige Boxenstopps, also kleine Retros, wo wir nicht nur auf Inhalte, sondern auch auf unser gemeinsam Tun blickten.
Die wöchentlichen Sync Meetings liefen alle in etwa so ab: Check In, 3 Leitfragen, Check Out. Die drei Fragen variierten immer ein wenig, könnte man so wiedergeben: „Was habe ich seit dem letzten Sync-Call gemacht?“, „Wie geht es mir mit meinem Lernziel?“ und „Was nehme ich mit vor? Wie geht es weiter?“
Alle da? Los geht’s!
In den ersten beiden Wochen formulierten und feilten wir an unseren individuellen Ziele. Mein Fokus:
Was kann Künstliche Intelligenz wie zu selbstgesteuerten Lernprozessen beitragen? Was kommt demnächst und wie kann sich L&D heute schon darauf vorbereiten?
Dann ging es schon rein in eine Orientierungsphase und arbeiteten uns in das Thema mit Hilfe von zwei aktuellen Papers ein (State of AI — Lernhacks. Innovatives Lernen & Lernkultur. und KI-meets-LD)
KI, wer bist Du und wenn ja, wieviele?
Schnell erkannten wir, dass KI nicht gleich KI (und auch nicht AI) ist. Aktuell im Fokus ist „generative KI“, die nur eine der vielen Formen (siehe z.B. hier). Sie nutzt maschinelle Lernalgorithmen, um selbstständig Input und Output zu verknüpfen und so mit neuem Input auch neuem Output zu generieren. Allein dadurch erklärt sich das Phänomen der Halluzination – die KI liefert IMMER Output, auch wenn der Input keinen sinnvollen Output zulässt (Augen auf beim Prompting!)
KI liefert IMMER Output, auch wenn der Input keinen sinnvollen Output zulässt
Und ein zweites Phänomen erklärt sich aus der Funktionsweise von Sprachmodellen – die Input-Output-Relation basiert immer auf Unmengen an nicht immer nachvollziehbaren (Trainings)Daten. Was da nicht drinnen ist, wird nicht berücksichtigt. Also von Intelligenz eigentlich wenig Spur. Und nochmals: Output generiert KI jedenfalls, auch wenn die Trainingsdaten nur bedingt matchen.
KI selbst weiß nichts, KI tut nur so als ob.
Zu dieser Einsicht kamen wir über Texte, Coursera-Kurse und andere Videos für uns, um die Funktionsweise von generativer KI besser zu verstehen. Damit konnten wir auch mögliche Anwendungsfelder erahnen bzw. auch Restruktionen erkennen.
Und gleichzeitig unser Prompting verbessern: eine Woche lang versuchten wir uns im Optimieren von Prompts (z.B. via RADAU oder CREATE Strukturen) auf verschiedenen Plattformen. In der Chatbot Arena lassen sich sogar LLM Modelle direkt miteinander vergleichen.
Dabei haben wir unsere Chat-Partner:innen durchaus lieb gewonnen (das sollte sich später noch ändern) und so entdeckten wir den Begriff Anthropomorphismus.
Abgrund im Hintergrund?
Doch was hat das alles mit Corporate Learning zu tun?
In L&D Global Sentiment Survey 2024 von Donald Taylor bestätigten 21,5% der Befragten KI als das „heißeste“ Thema in der L&D-Welt. Platz 1. 2023 stand KI noch auf Platz 2 und in 2020 sogar nur auf Platz 5.
Der Segen von KI in der aktuellen Praxis bzw. Angebotslandschaft liegt derzeit stark im Erstellen von (neuen) Lernangeboten: pdf rein, Lernstrecke raus. Sooo einfach! Rapid Content Production nennt sich das. Eine längerfristige Strategie zum KI Einsatz in Lernwelten findet man in L&D Abteilungen noch kaum.
Schöne neue Welt: KI-Systeme produzieren im Handumdrehen unzählige Lernangebote – ohne nennenswerte Grenzkosten. „Senden“ konnten wir bislang schon gut im Corporate Learning. KI verstärkt auch hier das, was schon da ist.
Rapid Content Production! Doch wer soll, kann, darf und will das alles konsumieren?
Doch wer soll, kann, darf und will das alles konsumieren? Die Folge: Content Fatigue für die einen, die Startflagge zum Rattenrennen für die anderen: wenn wir den produzierten Content mittels KI vervielfachen, werden Usern diesen mittels KI wieder zusammenfassen. KI produziert für KI – und Lernen geht K.O. Manche meinen sogar, dass KI uns dümmer macht, da der KI Einsatz Lernen sogar blockiert?
Gebt den Lerner:innen ihr Lernen zurück!
Können wir KI nutzen, nicht nur um Lehrprozesse zu vervielfältigen, sondern um aktive, tiefe Lernprozesse zu anzuregen und begleiten? Kann KI helfen, dass sich Lernende gerne, wiederholt und tiefergehend mit Inhalten auseinander setzen? Kann also KI auch bessere Fragen stellen anstatt nur bessere Antworten liefern?
Meine ersten Erkenntnisse aus der Lernreise: Ja, das geht! Und viel besser als ich zu Beginn gedacht hätte. KI kann sogar Beratung und Coaching.
Die möglichen Rollen reichen von einem persönlichem Agent oder Concierge, der Lernziele klärt oder schärft, den Fortschritt mittels Feedback sichtbar macht und die Motivation zum Themenbereich damit hoch hält, hin zu einem Facilitator, der Gruppenprozesse (wie z.B. eine Lernreise) strukturiert und moderiert, themenspezifische Kollaboration in Dokumenten unterstützt oder Austausch durch Anleitungen und Fragen unterstützt.
Selbst als Coach für persönliche oder soziale Kompetenzen kann KI fungieren, indem sie Feedback in Echtzeit gibt, auf Lernangebote verweist, hilfreiche Fragen in Reflexionsprozessen stellt oder z.B. Kommunikationsverhalten trainiert. Versuche es mal z.B. mit diesem Prompt in einem Chatbot deiner Wahl:
„Du bist ein mein persönlicher Coach als psychologischer Berater. Orientiere dich an lösungsorientierten Methoden. Lass mich die Lösung selbst entwickeln. Gib keine Ratschläge. Kleine Impulse oder Ideen als Vorschläge sind okay, aber bitte keine fertigen Lösungen oder Anleitungen. Sprich klar und konkret, dabei aber warm und verständnisvoll. Stelle wenige Rückfragen, wenn du mehr Information brauchst. Sei langsam, lass uns Zeit. Zu Beginn frage mich nach Anliegen und Ziel. Wenn du glaubst, es ist genug, beende die Session. Wenn ich STOP sage, ist die Session ebenfalls vorbei. Gib mir jedenfalls zum Abschluss eine kleine Aufgabe zu meinem Thema entweder zum Denken, Fühlen oder Machen.“
Selbst als schnell verfügbarer Coach für einfache Themenstellungen kann generative KI bereits heute gute Dienste leisten.
KI und L&D müssen sich erst finden
Eins schneit fix zu sein: Die Technologie des Deep Learnings ist gekommen um zu bleiben und bietet bereits heute – abseits von Rapid Content Production – vielseitige Potenziale fürs Corporate Learning. Und da kommt bald vieles mehr.
Die Gefahr dabei: die vielen neuen Möglichkeiten lenken uns von den eigentlichen Themen und Problemen im Corporate Learning eher ab. Wenn wir nicht acht geben, tauschen wir Qualität und Outcome gegen Speed und Output – und fahren damit möglicherweise (noch) schneller gegen die Wand.
Wenn die Maschinen bessere Maschinen werden, müssen wir Menschen bessere Menschen werden.
(Franz Kühmayer)
Damit ist auch fix: das Lernen wird uns KI nicht abnehmen.
Ganz im Gegenteil, KI ist umso hilfreicher, je mehr wir bereits gelernt haben. Das bedeutet auch: Je größer die Möglichkeiten, desto klarer müssen wir selbst haben, wo wir womit hinwollen und was wir (mit Hilfe von KI) erreichen wollen.
Wenn wir das komplette Feld einfach der KI überlassen, weil es super bequem ist, bringt sie uns bald nichts mehr. Oder verweist uns in die Ecke. Die KI übernimmt die Kommunikation mit den Usern, produziert Content und liefert Antworten in Sekundenschnelle. Wenn das alles so leicht geht, wer macht sie dann noch die Mühe (oder hat überhaupt noch die Fähigkeit), die entscheidenden Fragen oder Prompts für sie zu (er)stellen?
We tend to overestimate the effect of technology in the short run and underestimate the effect in the long run.
(Roy Charles Amara)
Für L&D bedeutet das, dass wir gerne Platz machen dürfen für die KI. Und gleichzeitig unsere Rolle im Unternehmen als echte Veränderungsbegleiterinnen schärfen und bewusst(er) leben.
Damit wir KI mittelfristig hilfreich nutzen können, braucht es uns im Corporate Learning als Entwicklungsdesigner und KI-Dirigenten – anstatt als Steigbügelhalter von KI als Contentschleuder. Was wir dafür dann (noch) dringender brauchen als heute, sind gute (Lern)Voraussetzungen für ein echtes, freudvolles und nachhaltiges Lernerlebnis. Diese müssen wir selbst schaffen – da kann uns KI Ideen liefern, aber umsetzen müssen wir es selbst.
Apropos Ideen liefern: ich fragte ChatGPT, was der wichtigste Punkt sei, worauf sich Corporate Learning für einen wirkungsvollen Einsatz von KI vorbereiten soll. Die Empfehlung: ein hybrides Lernökosystems schaffen. Wie man das konkret macht? (Noch) keine Ahnung, aber vielleicht ist das ja ein Thema für die nächste Lernreise.
Ich habe unsere Reise sehr genossen und bin zufrieden, in welche Ecken (auch die ich hier nicht zusammengefasst habe, wie Ethik oder Energiebedarf) mich in nur 13 Wochen diese Reisen gebracht hat.
Mach mit bei den #CLCA-Lernreisen!
Wer das Format einer Lernreise mal selbst erleben will, hat demnächst Gelegenheit dazu: Die CLCA bringt Lernende zusammen, um ihre eigene(n) Lernreise(n) zu starten.
Los geht es am 7. März 2025. Für 13+1 Wochen arbeiten Kleingruppen an jenen Themen, die sie interessieren bzw (er)lernen wollen. Wir hosten nicht nur strukturierte Reisen wie z.B. mit lernOS, sondern begleiten auch freie Reisen, wenn sich Interessierte finden. Meldet Euch gerne schon mal hier an. Die Teilnahme ist kostenlos.
Falls Du mehr darüber erfahren möchstest, komme gerne am 23.1.2025 zu den CLCA-Stammtischen in Wien oder Salzburg. Auch hier ist die Teilnahme kostenlos, wir bitten aber um Voranmeldung.
Bonusmaterial – mehr zum Thema KI im Corporate Learning:
- Von Menschen und Maschinen – #918 – FALTER-Radio – Podcasts – FALTER.at
- AI4LnD.de
- lernOS KI Leitfaden
- ‚Kalte Dusche‘ in der KI-Debatte – ein erster Schritt! | eBildungslabor
- Ed-Technical – BOLD
- KI in der Pubertät – Warum Zukunft der Technologie uns alle braucht | Holger Volland | TEDxStuttgart
- Natürlich alles künstlich – Dr. Philip Häusser | Droemer Knaur (droemer-knaur.de)