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Update am 13.05.2023

Warum fällt es uns denn so schwer,
unsere bekannte Ordnung in Unternehmen und Gesellschaft ernsthaft zu transformieren?

Kernfrage im Utopic.Butterbrot

Um diese Frage drehen sich die frühmorgendlichen Treffen an besonderen Orten in Wien. Rainer Peraus, Erfinder des Formats Utopic.Butterbrot, lädt unregelmäßig eine illustre Runde an Zukunftsinteressierten ein. Diese Woche war es wieder soweit.

Jedesmal steht ein anderer Aspekt von Transformation im Fokus. Die Eventreihe “im Campingmodua”, die vom Verein CEOs für Future unterstützt wird, folgt einer Dramaturgie und wird zusätzlich durch einen Podcast begleitet.

Die ersten fünf Stationen habe ich hier als Imperativ für Transformationssucher zusammengefasst:

1. Entwickle Utopien, gerade in der Krise

Vor rund einem Jahr startete die Reihe im Filmmuseum mit dem Titel: Utopien in der Krise?! Warum utopisches Denken in epochalen Krisen die beste oder vielleicht sogar einzig adäquate Antwort sind.

Blöd nur, dass wir in tiefen Krisen alle Hände voll zu tun haben, um nicht „unterzugehen“ – wer hat da schon Zeit und Nerven für Utopien und fantastische Zukunftsbilder?

Ohne solche Utopien fehlt die Kraft fürs „Neue“ und der Weg zurück ins „Alte“ scheint der einzig mögliche. Wir alle kennen diese Falle, in die wir nur allzu leicht tappen.

Rainer bringt die Gruppe in Bewegung und startet mit einem Impulsreferat, das mit dem nachfolgenden Austausch untereinander erst so richtig Fahrt aufnimmt. Die Diskussionen bei einem „Camping-Frühstück“ mit Butterbrot und Heißgetränk sind da durchaus kontrovers.

2. Feiere das Ende, auch wenn Dir nicht danach zu Mute ist

Weiter ging´s in einer alten Turnhalle (Brick15): Ende gut, alles gut? Von der Bedeutung von gelungenen Enden für die Transformation und den anschließenden epochalen Neubeginn.

Mit Hilfe der Comics von Hägar erklärt Rainer, dass Enden ganz natürliche Phänomene und meist nur – wie das Ende der Welt – Gedankenkonstrukte in unseren Köpfen sind. Deshalb neigen Menschen dazu, Enden zu negieren, zu meiden oder hinauszuzögern, anstatt diese willkommen zu heißen oder gar zu feiern.

Enden als solche zu akzeptieren, ist für uns schwer, weil jedem epochalen Ende nicht unmittelbar ein neuer Anfang folgt. Nach dem Ende folgt mal – Nichts. Alles muss sich neu ordnen. Vom Ende aus können wir den sicheren Neu-Anfang noch nicht erkennen. Deshalb schmerzt uns der drohende Verlust des Bekannten. Mehr noch: das Bekannte gibt Halt, gerade in der Krise – da fällt es schwer, die sich über das Nichts in die unbekannten Möglichkeiten zu bewegen.

3. Erzähle die Geschichte (und die Gegenwart) neu

Die fehlende Orientierung in diesem „Nichts“ zwischen Ende und Anfang entsteht, wenn unsere Grundannahmen und Geschichten, wir uns bisher so gerne erzählten, möglicherweise nicht mehr helfen. Jede Epoche hat ihren Narrativ, der uns hilft die Welt zu verstehen. Narrative haben aber “einen abnehmenden Grenznutzen”, d.h. irgendwann hindern sie uns mehr als sie uns nutzen.

Deshalb erzählt echte Transformation die Geschichte der Welt neu und lässt sie in gänzlich anderem Licht erscheinen. Es sind also die impliziten Annahmen über unsere Welt, wie z.B. dass Geld das Maß aller Dinge ist, Technik alle Probleme löst und die Zukunft von Natur aus immer besser werden muss, die uns im Alten verharren lassen.

Solche Geschichten sind gewachsene Kulturelemente und wirken ausschließlich in ihrer Unbewusstheit. Am Badeschiff Wien stellte Rainer deshalb die Frage: Narrativ-Revolution! Sich neu erzählen, geht das? Kann man bewusst neue Narrative finden, wenn diese nur unbewusst Wirkung entfalten?

Rainer provoziert in seinen Impulsen unterschwellig und nimmt uns gut auf (s)eine Gedankenreise mit. Dabei stellt er gewohnte Denklogiken auf den Kopf, irritiert sympathisch – und rüttelt heftig an Grundannahmen. Er nennt es „angewandte Wirklichkeitsdehnung“.

4. Angst lähmt – oder ist die Startrampe in die Erneuerung

Menschen brauchen Orientierung und Verbundenheit – und wenn eines fehlt, das andere dann umso mehr. Vielleicht ein Grund dafür, warum wir uns gerade dann gerne angstvoll zurückziehen, wenn es darauf ankommen würde: Verwechseln, Verdrängen, Verbieten! Angst vor Neu?

Manchmal muss man sich selbst verlieren, um sich neu wieder (er)finden zu können.

Die Formen der aktiven, aber unbewussten Vermeidung von Transformation sind vielfältig. In den Diskussionen an den Tischen sind wir schnell beim aktuellen politischen System, das offenbar besonders viel Angst vor echter Transformation hat. Schließlich droht der Verlust des Erreichten. Die Parallelen zur Unternehmenswelt werden schnell evident, auch dort gibt es für einige ganz viel zu verlieren.

Andererseits: Manchmal muss man sich selbst verlieren, um sich neu wieder (er)finden zu können. Angst kann dabei auch als Startrampe für erfolgreiche Erneuerung dienen.

Die Blechdose wird verschlossen
Bild: Rainer Peraus

Die Erkenntnisse aus den Tischdiskussionen wurden auch diesmal wieder auf kleinen Zetteln gesammelt und gleich vor Ort in einer Utopia.Can verschlossen. Auch eine Karte mit persönlichen Zukunftsexperimenten wird kuvertiert – und findet sich wenig später im eigenen Postkasten.

5. Brich endlich auf! (oder aus?)

In der Brunnenpassage im aktuell auch politisch diskutierten (multikulti) Brunnenmarkt ging es diese Woche ans Eingemachte: Revolution? Vom Ausbrechen und Aufbrechen.

Evolution (iSv Variation und Selektion) ist schon gut, für echte Transformation von Systemen braucht es aber mehr, nämlich (Ver-)Störung und Disruption.

Störung ist unbequem, noch dazu in Krisen. Störung macht Angst, gerade in Krisen. Da ist es (vermeintlich) einfacher, sicherer und beruhigender einfach so weiterzumachen wie bisher, gerne dabei ein wenig optimieren, kurz: MOTS (bb)*.

Spätestens bei diesem Utopic.Butterbrot spinnen sich alle bisherigen Gedanken und Stränge zu einer Aussage: Echte Transformation braucht eine Narrativ-Revolution, einen vertrauensvollen Wandel (auch bekannt als absichtsloses Dahinschlendern) und damit eine Neu-Bedeutung der Welt.

Uns so lernen wir von Rainer, dass die Antwort aller Fragen gar nicht 42, sondern im aktuellen Umfeld offenbar 3 ist. Wir schaffen alles, solange es durch 1. Management, 2. (technologische) Innovation und 3. Wachstum begleitet wird. Kurz: Alles bleibt besser.

Mit diesem Narrativ bauen wir gerade die Zukunft von gestern, die morgen ganz schön alt aussehen wird.

Mit diesem Narrativ bauen wir gerade die Zukunft von gestern, die morgen ganz schön alt aussehen wird. Narrativrevolutionen erkennen wir an den Skalenbrüchen ihrer Messbarkeit, vor allem dann, wenn alte Maß- oder Kennzahlen (der Optimierung) auf einmal anachronistisch wirken.

Damit können wir eine Antwort auf die Eingangsfrage erahnen – es hat also mit Angst, unpassenden Narrativen und veralteten Grundannahmen über unser Wirken in der Welt zu tun, warum wir das Ende einer endenden Epoche nicht einfach feiern, mutig und vertrauensvoll in der Neu-Orientierung wandeln und damit den Start einer neuen Epoche ermöglichen.

Im Herbst 2023 geht es übrigens weiter mit dem Utopic.Butterbrot, soviel darf ich schon verraten. Wer dabei sein will, kann sich jetzt schon dafür bewerben.

*More Of The Same (but better)

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