Der 1. Mai ist der Tag der Arbeit, seit 124 Jahren. Anlass genug sich mit dem Phänomen Arbeit auseinanderzusetzen: eine Geschichte voller Missverständnisse.
Das alte bewährte Wirtschaftsprinzip gilt natürlich nicht nur für Waren, sondern auch für die Arbeit selbst: Hier Geld, da Leistung. Für gute Leistung gibt es gutes Geld, liebe Arbeitnehmer. Oder anders gesagt: für gutes Geld gibt es gute Leistung, liebe Arbeitgeber. Eine einfache Austauschbeziehung, die sich bei genauerer Betrachtung voller Missverständnisse zeigt. Doch alles der Reihe nach.
Das alte Tauschspiel: Arbeit gegen Geld
Schauen wir mal, wer hier mit wem und warum. Zunächst hätten wir da die Arbeitgeber, die – wie der Name schon sagt – Arbeit (ver)geben. Und weil Geben immer seliger ist als Nehmen, ist auch sonnenklar, wer hier der Gute ist. Arbeitnehmer warten nur darauf, Arbeit zu bekommen, die sie (an)nehmen können. Und weil es mehr Menschen gibt, die Arbeit annehmen möchten als Unternehmen, die Arbeit anbieten, ist auch klar, wer sich hier bei wem anstellen muss. Damit wären die Fronten mal geklärt.
Die beiden tauschen: Geld gegen Arbeit. Wirklich? Nicht wirklich! Sie tauschen Geld gegen Zeit, also Wochenstunden und Überstunden gegen Geld. Obwohl wir aus der Physik wissen, dass Arbeit = Leistung x Zeit ist, hat man sich komischerweise darauf verständigt, Arbeit in Zeit zu bemessen (und zu bezahlen). Das wirft zwar für beide Mitspieler viele Probleme auf, ist aber dennoch so: Arbeitnehmer haben das Problem, dass sie Zeit nicht beliebig vermehren können. Für Arbeitnehmer nicht minder problematisch ist, dass sie nur einen Faktor obiger Gleichung, nämlich Zeit, bezahlen und auf dem Faktor „Leistung“ sitzenbleiben. Naja, den einen helfen die Gewerkschaften und das Arbeitsrecht (manchmal gut so!): Der 8-Stunden-Tag war schließlich eine zentrale Forderung der ersten Mai-Feiern. Den anderen helfen mehr oder weniger ausgeklügelte Performance Management Systeme. Doch das ist wieder eine andere Geschichte.
Human Ressources!
So weit, so bekannt. Kein Wunder also, dass Kaufleute Kostenvorteile im Austausch “Zeit gegen Geld” suchen. Vorteile hat, wer aus dem Produktionsmaterial “Arbeitnehmer” die maximale Leistung herausholt und dafür so viel wie gerade nötig bezahlt. Menschenmaterial also (übrigens das Unwort des Jahres 1998) als Produktionsgrundlage. Ich höre schon die Aufschreie, dass wir aus diesen Zeiten doch längst entwachsen sind. Dann überlegen Sie mal, wieviele unserer Kollegen noch immer stolz die Abteilungsbezeichnung „Human Ressources“ (übersetzt: menschliche Mittel) führen. Oder auch in Zeiten wie diesen ganz selbstverständlich erwarten, dass gesuchte Fachkräfte sich nach wie vor um die Stelle bewerben.
Nein, so kommen wir nicht weiter. Vielleicht müssen wir auch einen Blick auf den anderen Teil der Geschichte werfen. Dazu müssen wir mit (zumindest) 4 Missverständnissen aufräumen:
Missverständnis 1: Arbeit = Arbeit
Arbeit soll erledigt werden. Dazu gibt es sie ja, die Arbeitnehmer. Und dafür werden sie ja auch bezahlt. Für oben genannte Kaufleute bedeutet diese Arbeit meist “nur” das, was die alten Römer als „Labor“ bezeichneten: Labor (lat.) = die Arbeit, die Anstrengung, die Mühe. Erledigt soll sie sein, basta.
Doch das, was Arbeitnehmer gerne (er)arbeiten, hätten die Römer ganz anders übersetzt. Die Arbeit, die man mit Motivation und Stolz fertigt nannten sie „Opus“ : Opus (lat.) = die Arbeit, die Beschäftigung, das (Kunst)werk. Sie meinten damit die selbst geschaffene Arbeit, durch die eigenen Hände, durch die eigene Kompetenz, die Sinn einfach macht.
Zwei Seiten des selben Begriffes. Wer beide Aspekte miteinander verbindet, hat gewonnen. Selbst anstrengende Routinearbeit [labor] erledigt sich leichter und motivierter, wenn es Sinn macht [opus]. Eine klassische win-win-Situation.
Missverständnis 2: Arbeit gegen Geld
Labor und Opus machen klar: hier wird weit mehr getauscht als Zeit gegen Geld. Die einen erhalten für ihre Arbeit [opus] weit mehr als Geld, nämlich Sinn, Anerkennung, Selbstwert und vieles mehr. Wie wichtig diese Aspekte sind, kann man bei (Langzeit)Arbeitslosen auf tragische Weise leicht erkennen. Und damit erhalten Arbeitgeber weit mehr als nur Zeit, nämlich Ideen, Kompetenzen, Kontakte und vieles mehr.
„Human“ ist also mehr als eine „Ressource“, die einfach im Produktionsprozess verbraucht wird und bei Bedarf leicht austauschbar ist. Personalökonomen plädieren schon länger, dass Arbeitnehmer als immaterielles Betriebsvermögen gesehen werden. Zwar nicht in der Bilanz ausgewiesen, aber trotzdem Kapital: Humankapital. Übrigens das Unwort des Jahres 2004 und wahrscheinlich genauso daneben wie der klassische Begriff der “Human Ressourcen”.
Missverständnis 3 und 4: Arbeitgeber geben Arbeit und Arbeitnehmer nehmen Arbeit
Spätestens jetzt ist klar, dass Arbeitnehmer nicht nur Arbeit [labor] (an)nehmen, sondern sich auch Arbeit [opus] suchen. Damit haben wir einen weiteren Begriff, der dringend einer Überarbeitung bedarf: Aber was Arbeitnehmer dann sind, hat erst kürzlich die wollmilchsau zusammengetragen. Meine beiden Favoriten: Sich-Einbringer, Wertschaffender, … Noch ein bisschen sperrig, aber mal ein guter Anfang.
Und wenn wir schon dabei sind, räumen wir gleich mit der nächsten missverständlichen Bezeichnung auf: der Arbeitgeber kann ja nur dann Arbeit geben kann, wenn es Menschen gibt, die diese nehmen (können und wollen). Damit sollte man ihn wohl besser “Arbeitsanbieter” nennen, also jemand, der eine Aufgabe [opus] zu allererst anbieten muss, um sie dann vergeben zu können. Arbeitgeber wird nur, wer sich als Arbeitsanbieter am Arbeitsmarkt erfolgreich profilieren kann. Und dort gelten ähnliche Gesetze wie am Produktmarkt: Das Produkt muss so gestaltet sein, dass es die richtigen Abnehmer findet.
Erfolgreiche „Arbeit“ ist Symbiose
Am „Tag der Arbeit“ werden die Verschiebungen der letzten 100 Jahre deutlich sichtbar. Der alte Spruch „Wer das Geld hat, schafft an“ funktioniert am Arbeitsmarkt immer weniger. Die alten Rollen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer lösen sich zusehends auf. Das Produkt „Arbeitsplatz“ lässt sich nicht mehr über die Stange verkaufen und findet nicht mehr automatisch reißenden Absatz.
Man begegnet sich auf Augenhöhe. Der Mensch ist weder Ressource noch Kapital. Er ist Potenzial, das im Arbeitsprozess auf die Straße gebracht werden will. Dazu braucht es die richtigen Rahmenbedingungen, die auf das mitgebrachte Potenzial abgestimmt sein wollen: Sinn, Führung, Arbeitsorganisation, etc.
Wer das Potenzial heben will (iSv Leistung, siehe oben), muss sein Arbeitsangebot (d.h. den Arbeitsplatz) laufend adaptieren. Für HR (vielleicht dann für: Human Realization) bedeutet das: Es geht nicht mehr nur darum, die Menschen zu verändern. Das ist teuer und funktioniert nur eingeschränkt.
In Zukunft verändern erfolgreiche Arbeitsanbieter/-geber die Arbeitsbedingungen, um Menschen als Mitarbeitende zu gewinnen und im Unternehmen produktiv zu halten. Ganz so, wie man es aus der Produktentwicklung kennt: Das Produkt „Arbeit“ richtet sich nach dem Markt und nicht mehr nach den Plänen der Produktabteilung.
Damit verabschieden wir uns im Arbeitsprozess endgültig von der durchgeplanten industriellen Produktion mit exakten Stellenprofilen in eindeutigen Hierarchiestufen, in denen der Mensch nur ein Rad in der überdimensionalen Maschine „Organisation“ ist, das jederzeit gegen ein anderes ausgetauscht werden kann.
Wenn wir erfolgreiche Zusammenarbeit als (nicht planbare, biologische) Evolution begreifen, die durch gemeinsames Tun entsteht und wächst, klappt’s auch in Zeiten des kolportieren Fachkräftemangels.
Wie lange es wohl dauern wird, bis wir das umgesetzt haben?