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Sie ist immer da, aber nicht gestaltbar. Und wehe, sie wird ignoriert: Unternehmenskultur!
Eine praktische Theorie zur Arbeit an und mit Organisationskulturen.

Ich muss Sie warnen.

Es ist ein Buch mit hohem Gefährungspotenzial für manche „Kultur“-Berater, das Christina Grubendorfer da gerade auf den Markt gebracht hat.
Hier lesen Sie ihre Kernthesen, die ich abschließend noch mit drei Imperativen für “Kultur-EntwicklerInnen” versehen habe.

In ihrer Einführung in die systemischen Konzepte der Unternehmenskultur entwickelt sie eine systemische Sicht auf Unternehmenskultur und räumt darin mit vielen Unternehmenskultur-Mythen auf:

  • Niemand kann Unternehmenskultur so gestalten, dass sie in seinem gewünschten Sinne wirkt. Nein, auch nicht das Management!
  • Wir können Unternehmenskultur in unsere Überlegungen, Strategien und Unternehmensentwicklungsprogramme integrieren. Müssen wir sogar, denn sonst werden wir es sehr schwer haben mit unseren Vorhaben.
  • Sie möchten Unternehmenskultur standardisiert messen und sichtbar machen? Diesen Aufwand können Sie sich sparen, damit werden Sie der Individualität der Kultur nicht gerecht. Jede Kultur entwickelt eigene Dimensionen, an denen sie gemessen werden kann.
  • Und falls Sie daran denken, dennoch Ihre Unternehmenskultur zu gestalten: Ja, das können Sie, aber nur über die Bande – nie direkt!

Eine hilfreiche Sicht auf Unternehmenskultur – aus der Theorie, für die Praxis

Wenn eine Beraterin die systemische Theorie durchforstet und die Konzepte gnadenlos auf die Kultur in Organisationen umlegt, so klingt das auf den ersten Blick nicht unbedingt praxisnah.

Trotz (oder wegen) der kompakten und fundierten Theorie gibt das Buch gute (Denk-)Anweisungen für schmackhafte Menüs in der Praxis. Die Leser dürfen damit ihr eigenes Süppchen kochen, das sie ja vielleicht auch selbst auslöffeln müssen.

Auf den rund 120 Seiten folgt Christina Grubendorfer ihrem eingangs erklärten Ziel: eine praktische Theorie über Unternehmenskultur zu entwickeln, die für die Reflexion verschiedenster Situationen und Fragestellungen nützlich ist.

Im gesamten Text verwendet sie den Begriff „Unternehmenskultur“, den sie eigentlich lieber mit dem treffenderen Begriff „Organisationskultur“ ersetzt hätte. Sie bleibt aber dabei, um den Leser nicht gleich zu verschrecken, wie Sie selbst schreibt.

Tut sie (auch später) nicht. Denn sie leitet alle Konzepte sauber und nachvollziehbar her und kommt dennoch rasch auf den (springenden) Punkt.

Unternehmenskultur: Es geht um Entscheidungen!

Also folgen wir mal der inhaltlichen Fährte, die sich durchs gesamte Buch zieht:

[social_quote duplicate=”yes” align=”default”]Organisationen sind aufgabenbezogene Systeme, die ständig Entscheidungen treffen (müssen). [/social_quote]

Diese Entscheidungen reduzieren die Ungewissheit und Unsicherheit der Zukunft.

Entscheidungen werden ständig getroffen, auch wenn sie nicht immer als solche erkennbar sind. Auch Nicht-Entscheidungen sind Entscheidungen, einfachen Handlungen liegen implizit Entscheidungen zu Grunde. Führungskräfte wie Mitarbeiter treffen weit mehr Entscheidungen im Alltag als ihnen bewusst ist.

Manche dieser Entscheidungen wirken weit über den unmittelbaren Zweck hinaus: sie sind Orientierungshilfe für künftige Entscheidungen. Damit werden sie zu Entscheidungsprämissen und wirken wieder auf neue Entscheidungen , ohne dass wir das wollen oder uns das bewusst ist.

Ob und wie stark sie diese Wirkung entfalten werden, ist zum Zeitpunkt der Entscheidung weder klar noch festlegbar.

Die Entscheidung an sich ist entscheidbar, die Wirkung daraus aber un-entscheidbar.

Entscheidbares vs. Un-Entscheidbares

Die Unterscheidung zwischen entscheidbaren und un-entscheidbaren Prämissen ist für Christina Grubendorfer nicht nur theoretisch wesentlich.

Entscheidbar (unabhängig davon, ob tatsächlich jemals jemand darüber entschieden hat oder nicht) sind alle Elemente der Formalstruktur im Unternehmen, wie

  • Programme, also welche Aufgaben wie mit welchem Ziel oder Zweck zu erledigen sind,
  • Kommunikationswege, also Zusammenarbeitsregeln, Dienstwege oder zu berücksichtigende Entscheidungsinstanzen oder
  • Personen, also Verhaltenserwartungen, die sich aus den Eigenarten von Personen oder Funktionen erhaben genauso wie alle Personalentscheidungen (Aufnahme, Entlassung, Versetzung oder Entwicklung).
    Doch Vorsicht, hier geht es nicht um die Personen, sondern das, was zwischen den Personen läuft: auf die Spielzüge, nicht auf die Spieler kommt es an!

Diese formalen Entscheidungsprämissen sind meist schwach mit Affekten gekoppelt, rasch veränderbar und zielorientiert. Also ein Heimspiel für das klassische Management.

Entscheidbares hat mitunter un-entscheidbare Auswirkungen. Welche, wann, wo und wie stark, kann nicht vorhergesagt werden.
Und es sind genau diese un-entscheidbaren Prämissen, also all die informellen Entscheidungsprämissen, die die Kultur eines Unternehmens ausmachen.

Sie entstehen überall dort, wo Probleme auftauchen, die durch Anweisungen (also entscheidbare Prämissen) nicht gelöst werden können.
Dabei kann es um Zugehörigkeit, Identität, oder andere Lösungsfindungen gehen. Sie sind eher stark mit Affekten gekoppelt, nur langsam veränderbar und müssen nicht zielorientiert sein.

Un-entscheidbare Prämissen haben es an sich, dass sie entstehen, ohne dass jemand einseitig Kontrolle über sie hätte. Un-entscheidbar halt. „Kultur-Autorenschaft“ gibt es nicht.

Prämissen sind einfach da und wirken. Keiner könnte sie je auf die Ursprungs-Entscheidung(en) zurückführen und dennoch wirken sie handlungsleitend.

Sie führen das Unternehmen wie von Geisterhand und sind dennoch beobachtbar. Sie stehen wie „ein Elefant im Wohnzimmer“, um den alle herumlaufen. Er steht so selbstverständlich da, dass er im Alltag einfach übersehen und nicht beachtet wird, obwohl er doch für jeden sichtbar wäre.

Un-Entscheidbares kann nur durch Entscheidbares gestaltet werden

Wer Un-Entscheidbares verändern möchte, muss das Entscheidbare verändern.
Wer also Kultur verändern möchte, muss bei den Programmen, den Kommunikationswegen und Personal-Entscheidungen ansetzen. Die Kultur wird – wie ein Schatten – folgen.

[social_quote duplicate=”no” align=”right”]Die Unternehmenskultur orientiert sich an der Gegenwart, daran wie sie sich selbst vorfindet, und steht damit in einem Spannungsfeld mit der Planung der Zukunft.[/social_quote]

Wie genau sich die Kultur dadurch ändern wird, lässt sich vorab nicht sagen. Aber danach beobachten.

Unternehmen können sich ihre zukünftige Kultur nicht aussuchen. Sie können Sie nur über die Zeit entwickeln. Kulturentwicklung folgt dem Schema „Variation, Selektion und Retention“: Die Wiederholung ist das kulturelle Gedächtnis. Damit erfindet sich Unternehmenskultur in jedem Moment wieder aufs Neue (und ist somit über die Zeit auch veränderbar).

Das, was dadurch im Laufe der Zeit entsteht, sind kulturelle Kraftfelder, die ein bestimmtes Verhalten erleichtern und anderes erschweren.

Erfolgreiche Kulturarbeit: nehmen Sie sich nicht so wichtig!

Christina Grubendorfer fasst die systemischen Konzepte der Unternehmenskultur in 10 Gebote zusammen, die für Praktiker handlungsleitend sein sollten.

Mir sind diese zu ausführlich, deshalb habe ich sie in drei grundlegende Aussagen zusammengefasst:

  • Sie brauchen Unternehmenskultur nicht zu schaffen, sie ist ohnehin schon da.
    Kultur ist schon da, ob Sie das wollen oder nicht. Und diese hat auch niemand gemacht. Daran werden Sie nichts ändern – und Ihre „Unternehmenskultur-Projekte“ schon gar nicht.
  • Sie brauchen Unternehmenskultur nicht zielgerichtet gestalten, dafür hat sie zu viel Überraschungspotenzial.
    Gestalten Sie die drei entscheidbaren Prämissen kultur-bewusst, und beachten Sie die (kulturellen) Auswirkungen. Mehr können (und müssen) sie auch nicht tun.
  • Ignorieren Sie Unternehmenskultur ja nicht, denn sonst schlägt sie gnadenlos zurück.
    Bedenken Sie die mögliche (un-entscheidbare) kulturelle Auswirkungen in Ihren (entscheidbaren) Entscheidungen immer mit. Sonst könnte die Kultur Ihre Entscheidungen einfach ausbremsen.

Aber vielleicht arbeiten Sie ja lieber mit den ausführlichen 10 Geboten.

Diese erfahren sie in Christina Grubendorfers Buch, das jedenfalls Wert ist, gelesen zu werden:

 

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