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Im Frühjahr 2017 wollten Claudia Lorber, Charlotte Hager, Christian Koudela und ich wissen, wie es um die Recruiting-Zunft in Österreich steht. Wir forschten daher selbst nach und waren von den Ergebnissen nicht wirklich überrascht, aber doch enttäuscht. Recruiting folgte damals tradierten Abläufen, ohne besondere Ausbildung und erfolgte mehrheitlich nebenbei. Es war klar, dass ein solches Recruiting dem Fachkräftemangel nur wenig entgegen zu setzen hat.

5 Jahre später hat die FH Burgenland mit ihrem Recruitment Report 2022 erneut die Lage des Recruiting in Österreichs Unternehmen erforscht. Der Report basiert auf den beiden Masterarbeiten von Caroline Nagl und Elisa Kickmaier und zeigt leider ein nach wie vor wenig zukunftssicheres Bild.

Recruiting ist wichtiger geworden

Die gute Nachricht zuerst: Recruiting ist deutlich wichtiger geworden, vor allem in den Managementetagen. Um rund 17% konnte dort Recruiting an Reputation zunehmen, und hat damit durchwegs “hohe Akzeptanz”. Damit sollte es Recruiting leichter fallen, entsprechende Ressourcen zur Professionalisierung zu erhalten, als noch vor 5 Jahren. Bei internen Fachabteilungen und Kollegen ist der Bedeutungszuwachs noch verhalten, aber deutlich positiv.

Recruiting kann (fast) jede:r – und das nebenbei

Recruiting ist nach wie vor kein Traumjob. Bei mehr als der Hälfte der befragten Personen hat sich die Aufgabe ergeben – entweder im Beruf oder während des Studiums.

Positiv fällt auf, dass die Akademikerquote seit 2017 deutlich, nämlich um die Hälfte, zugelegt hat. Unverändert bleibt Recruiting als Aufgabe nur Nebenjob, denn unverändert nur rund ein Fünftel fokussiert sich ausschließlich aufs Hiring. Meist ist Recruiting eine Zusatzaufgabe zu anderen HR-Agenden.

Die aktuelle Recruiting-Expertise kommt nach wie vor hauptsächlich durch Learning by Doing – nicht mal ein Drittel hat recruitingspezifische Ausbildungen besucht. Kein Wunder also, dass sich insgesamt nur wenig bewegt.

Recruiting bleibt traditionell

In Zeiten des Fachkräftemangels hat Recruiting nicht nur ein Auswahlproblem zu lösen, sondern zusätzlich ein (ziemlich großes) Kontaktproblem zu potenziellen Kandidat:innen zu bewältigen. Auch 2022 wird die Auswahl sehr traditionell angegangen, der Kontakt wird nach wie vor via Inserat gesucht. Employer Branding soll offenbar dabei helfen, dass dies auch weiterhin funktioniert.

Als wichtigste Aktivitäten im Recruiting werden “Bewerbungsgespräche führen” und “Stellenanzeigen schalten” angeführt. Unverändert ist der Lebenslauf die wichtigste Unterlage (99%), gefolgt vom An- bzw. Motivationsschreiben – auch das klassische Bewerbungsfoto ist für fast 2/3 der Recruiter:innen essentiell. Nur ein Viertel freut sich über Links zu Business Netzwerken.

Auch bei den Auswahlinstrumenten bleibt alles wie es war: Interviews (persönlich, online, telefonisch) bleiben unangefochtene Nummer eins. Tests, zeitversetzte Online-Interviews oder künstliche Intelligenz spielen kaum eine Rolle. Interessant ist, dass fachliche Kriterien weiterhin Top-Auswahlkriterien bleiben, Cultural Fit spielt keine besondere Rolle.

Employer Branding als Heilsbringer

Employer Branding bleibt – wie 2017 – weiterhin Hoffnungsträger um dem Arbeitskräftemangel entgegen zu wirken, gefolgt vom Einsatz von Social Media, um Kandidat:innen anzusprechen. Dabei hat LinkedIn dem deutschen Pendant XING mittlerweile den Rang abgelaufen, Instagram ist in den letzten 5 Jahren deutlich wichtiger geworden, Facebook hat kaum Bedeutung eingebüßt. Nur 5% der Unternehmen setzen auf jüngere Plattformen wie Tik Tok.

Die große Herausforderung, sinnstiftende Job-Stories zu erzählen, bleibt weiterhin bestehen und wird kaum systematisch bearbeitet. Klassische Instrumente des Marketings oder des eCommerce diffundieren nur sehr langsam ins Recruiting. Auf Content Recruiting beispielsweise setzen nur etwa ein Drittel der Recruiter:innen, nur 10% planen dies in den kommenden Jahren. Ähnlich stellt sich das Bild bei Active Sourcing oder Targeting dar.

Benefits als Verkaufsargument

Bei den gebotenen Benefits bieten mehr als die Hälfte der Unternehmen Verpflegung(sstützung), finanzielle Boni sowie Ausbildungen und Teamevents an. Ebenso ist es bei zwei Drittel der Unternehmen mittlerweile möglich, mobil zu arbeiten. An den Ausbau dieser Benefits denken offenbar nur wenige (rund 10%), dabei sind die Themen “erhöhter Freizeitanspruch”, “Gesundheitsleistungen” sowie “nachhaltige betriebsbezogene Mobilität” am Radar.

Revolution dringend nötig!

Es ist kaum zu glauben, dass sich in Zeiten, wo der Fachkräftemangel bereits zu einem Arbeitskräftemangel geworden ist, so viel Tradition halten kann. Der aktive Zugang zum Arbeitsmarkt und damit die Verfügbarkeit von Mitarbeitenden ist mittlerweile businesskritisch geworden.

Vor diesem Hintergrund kann man nur auf eine (rasche) Revolution im Recruiting hoffen, denn in den letzten 5 Jahren hat sich nur wenig bewegt: In der Organisation des Recruitings hat sich wirklich nichts geändert, in der qualifizierten Ausbildung gibt es – ohne nennenswerten Kompetenzschub – nur leichte Lichtblicke, und im Recruiting-Alltag fehlen Innovationen fast gänzlich.

Dabei müssten nur die vielfältigen Möglichen aus den Nachbarabteilungen des Marketings, des Vertriebs und der Verkaufstechnologie ins Recruiting übertragen werden.

Obwohl bereits viele Unternehmen gemerkt haben, dass bisherige Instrumente und Strategien des Recruitings durch die geänderte Arbeitsmarktsituation nicht immer zielführend sind, wissen noch nicht alle genau, worauf es in den HR- und Recruitingabteilungen heute und in Zukunft wirklich ankommt

Elisa Kickmaier, BA MA im Recruitment Report 2022

Gute Nacht, Recruiting.

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