Wer ist der bessere Recruiter – der Fachbereich oder HR? So lautete die Frage der ersten Blind HR Battle. Das Match ging nicht nur denkbar knapp aus, sondern auch an der Praxis vorbei!
Da prallten die Argumente förmlich aufeinander, als sich Henrik Zaborowski (Recruiting Coach und Interim Recruiting Manager) und Robindro Ullah (Head of Employer Branding and HR Communication, Voith GmbH) zum Duell trafen. Genaugenommen trafen sie einander gar nicht, sondern schickten ihre Pro- und Contra-Argumente blind auf persoblogger.de ins Rennen. Das Ergebnis der 1. Blind HR Battle aus den Votings der HR Community: 43% zu 57% für HR. Knapp aber doch – wenigstens diese Schlacht hätten die Personalisten mal gewonnen.
„Noch so ein Sieg, und wir sind verloren!“, sagte schon König Phyrrus als er seinen sprichwörtlichen Pyrrhussieg gegen die Römer errungen hatte. Auch hier duellierte man sich um des “Kaisers Bart”, wenn wir schon bei den Sprichwörtern sind. Schön, wenn wir Personalisten wieder mal die Guten sind. Und doch geht es am Thema vorbei: Wer das Zusammenspiel zwischen Recruiting und Fachabteilung als Match betrachtet, wird vielleicht Lorbeeren ernten, aber langfristig kaum erfolgreich sein. Ich erkläre auch gerne warum…
Wer ist der Beste?
Wer ist also hier der Beste? Fachabteilung oder HR? Die Frage erinnert mich an die mehrmals erlebte Kluft zwischen Produktentwicklung und Vertrieb. Da schimpfen die einen, sie könnten viel mehr leichter verkaufen, wenn die anderen bessere Produkte entwickeln würden. Sie sind ja am Markt und wissen schließlich was Kunden wünschen. Und diese anderen wiederum beklagen sich, dass sie einen ja keine Ahnung von den Produkten und technischen Gegebenheiten hätten und einfach nur bequem sind, um ihre Produkte gut zu verkaufen. Jeder glaubt, er könne es besser. Der Beweis dafür steht bis heute aus.
Zu fragen, ob nun die Fachabteilung besser rekrutiert oder das hauseigene Recruiting ist ungefähr so als würde man fragen, ob unser linke oder rechte Fuß besser geht. Erst das konzertierte Zusammenspiel aus links und rechts, aus Produkt und Vertrieb, aus Fachabteilung und Recruiting bringt uns wirklich weiter.
Vieles stimmt ja auch, aber…
Es stimmt ja auch (wie Henrik Zaborowski argumentiert), dass die Fachabteilung die Anforderungen für die Aufgabe viel besser einschätzen kann. Der Mehrwert des zunächst vielleicht ahnungslosen Recruiters: Das „Wünsch-Dir-was“ der Fachabteilung kritisch zu hinterfragen und zu priorisieren, bevor man sich auf die unglückliche Suche nach der „eierlegenden Wollmilchsau“ macht. Manchmal sind der unverdorbene Blick und die unschuldige Fragerei des Recruiters am Beginn des Suchprozesses ein Augenöffner für eine markt-realistische und damit erfolgreiche Suche.
Und da kontert schon wieder Zaborowski, indem er argumentiert, dass der Fachbereich das bessere Netzwerk am Markt habe und mit (potentiellen) Kandidaten auf Augenhöhe kommuniziert. Wer nimmt schon Recruiting als Gesprächspartner ernst, von Fachmann zu Fachmann versteht man sich einfach. Stimmt zwar nicht immer, und selbst wenn: auch hier liefert Recruiting einen Mehrwert: Es ist der neutrale, aber erfahrene Blick auf die Person mit ihren Ecken und Kanten – ohne Ablenkung durch Fachsimpelei, Fachmeinungen oder gar Bewerbungsfotos. Recruiting kann zusätzliche Informationen für eine gute Entscheidung liefern.
Echte Führungskräfte wollen selber rekrutieren, legt Zaborowski gleich nach. Das können sie ja auch. Und noch viel besser mit einem professionellen Recruiting-Prozess mit dem Recruiter als Prozess-Owner (wie Ullah argumentiert). Der klassische „Post & Pray“-Ansatz ist zwar gut über die Fachabteilung abzuwickeln, greift aber heute vielfach zu kurz.
Genau an diesem Punkt kann Ullah argumentativ punkten: Durch die rasant zunehmende Professionalisierung des Recruiters stehen eine immer breitere Palette an Instrumenten zur Verfügung: gelebter Kontakt zu Schulen und Unis, Active Sourcing via Social Media, gepflegte Kooperationen mit Dienstleistern.
Um hier eine tragfähige Basis zu schaffen braucht es Konzept und Zeit. Marken wachsen langsam, Netzwerke müssen aufgebaut und gepflegt werden und für Active Sourcing braucht es Erfahrung. Wer erst zu rekrutieren beginnt, wenn er Bedarf hat, ist dann einfach zu spät dran. Hier hat das Recruiting einfach die Nase vorn. Der Mehrwert der Fachabteilung: Zugang zu einschlägigen Netzwerken oder passenden Kandidaten legen bzw. gemeinsam mit Recruiting anzapfen.
Da holt Zaborowski nochmal aus: Der Fachbereich wird seitens HR verwöhnt, gibt sich ohne eigene Mitarbeit weniger Mühe und ist am Ende dennoch unzufrieden. Auch das stimmt manchmal. Klare und direkte Kommunikation zwischen den „Kontrahenten“ Fachbereich und Recruiting kann hier Abhilfe schaffen.
Gutes Recruiting ist echtes Teamwork
Die Zeiten des lebenslaufstapelnden Recruiters, der auf Auftrag der Fachabteilung aktiv wird, sich wenig um die Ansprüche der Bewerber kümmert, aber dann doch Kandidaten in die Fachabteilung schickt, ist endgültig vorbei (sollte es sie jemals gegeben haben). Die Aufgaben des Recruitings wurden vielfältiger, kommunikativer und strategischer (siehe dazu auch: Wird Recruiting zum Vertriebsjob?).
Es braucht echtes Teamwork zwischen Fachabteilung und Recruiter, wenn es darum geht, auch unter schwierigen Bedingungen gut und rasch neue Kolleginnen und Kollegen zu gewinnen. Paul Petrone (The Inefficiences Of The Hiring Process – And How To Fix Them) vergleicht es mit den zweiten Gesetz der Thermodynamik: wenn sich zwei Turbinen gleichzeitig ins Wasser hängen, entsteht weit mehr Energie. Mit anderen Worten: wenn sich beide ins sprichwörtliche “Zeug hauen”, kommt mit weniger mehr raus.
Wenn alles rosarot läuft, dann nimmt der Recruiter den Prozess in die Hand (A – Administration) und sorgt damit für eine rasche Besetzung. Mit raschen und klaren Entscheidungen spielt ihm die Führungskraft der Fachabteilung in die Hand. Die (K- Kommunikation) mit dem Markt übernehmen beide (natürlich untereinander koordiniert) und bestehende (K – Kontakte) werden gepflegt und genutzt. Recruiter und Fachabteilung sorgen für eine gute Candidate Experience (und wissen beide, was sie darunter verstehen). Beide – Recruiter und Fachabteilung – sammeln jeweils Eindrücke und Informationen über Kandidaten und Bewerber (I – Information) aus ihrer Sicht und führen diese zu einem Gesamtbild zusammen. Die Letzt-Entscheidung für ein konkretes Arbeitsangebot trifft dann die Führungskraft – und der Kandidat, ob er dieses annimmt.
Wie lange es wohl noch braucht, bis diese Einsichten im wirklichen Leben zur Selbstverständlichkeit werden?