Wenn Sie mich fragen, ob Recruiting zu einem Vertriebsjob wird, frage ich Sie: Welches Recruiting meinen Sie? Über den Dreifach-Spagat des Recruiters.
Es war Margot Wampler, die mit Ihrem Beitrag Recruiting is Sales eine Diskussion darüber auslöste, ob Recruiting zur Sales-Aufgabe wird.
Sie argumentiert, dass Recruiting sogar eine “Double-Sales”-Aufgabe ist: wir müssen dem Kandidaten den Job verkaufen UND der Führungskraft den Kandidaten. Doch ist der Vergleich wirklich angebracht, fragt Kyle Lagunas? In seinem Post Think Recruiting is Sales? Think again befürchtet er, dass der Mensch mit all seinen Potenzialen zu kurz kommen könnte, wenn Recruiting zur automatisierten Vertriebsmaschinerie verkommt. Auf dieses hin und her antwortet Amy Alamit ihrem Beitrag I’m a Recruiter. No, a Salesperson. NO, a RECRUITER! Sie fasst die Diskussion schön zusammen:
[quote_box_center]We’re dealing with personalities on every side of this deal and they all have opinions on what’s in it for them. It’s our job to coach, motivate, persuade, cajole, influence, inspire, entice, guide… all for the purpose of CLOSING A DEAL. And you think I’m not salesperson?[/quote_box_center]
Die drei Aspekte des Recruitings
Recruiting hat so viele Facetten, dass jeder Vergleich mit einer Berufsgruppe zu kurz greift. Erfolgreich geeignete Personen für eine Aufgabe zu gewinnen beinhaltet immer mehrere, zumindest aber drei Aspekte:
Es braucht gute Kontakte zu den richtigen Personen. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um bestehende Kontakte (eigene, Mitarbeiterempfehlungen, etc.) handelt oder diese Kontakte über Inserate (also in diesem Sinne „Kontaktanzeigen“) zu Stande kommen. Vielleicht kommt man über Direktansprache (Direct Search, Active Sourcing) oder einfach durch Personalmarketing-Aktion in Kontakt: Der Recruiter sorgt für erfolgreiche Kontaktanbahnung und bewirbt das Unternehmen bzw. die Stelle. In diesem Sinne ist der Recruiter sowohl Marketing- wie auch Vertriebsmitarbeiter: sie bewerben den Arbeitsplatz, verkaufen das Unternehmen und die Aufgabe UND sie verkaufen Kandidaten den Führungskräften.
Doch damit ist die Geschichte ja noch nicht zu Ende: Damit eine Stellenbesetzung die Chance hat, punktgenau zu passen, brauchen Recruiter jede Menge Informationen. Über die Stelle, die Führungskraft, den Arbeitsmarkt und letztlich über die Kandidaten, mit denen Kontakt aufgenommen wurde. Informationen, an Hand derer einschätzbar wird, ob der Kandidat a. die Aufgabe erledigen wird können und b. sich gut ins Unternehmen/Team integrieren lassen wird können. In dieser Hinsicht agieren Recruiter wie Berater, Profiler, Coaches (und manchmal auch als Therapeuten).
Das alles braucht auch einen guten Überblick, schlanke Prozesse und ein straffes Kostenmanagement: eine effiziente, professionelle Administration. Dabei geht es um Kosten- und Zeit-Effizienz. Die Stelle ist rasch zu besetzen; der Aufwand dafür soll möglichst gering gehalten werden. Der Recruiter plant und managt den Prozess: Ansprache bzw. Ausschreibung, Bewerbungsmanagement, Kandidaten-Kommunikation, Test- und Auswahlverfahren, Entscheidungsfindung. In diesem Sinne gleicht die Aufgabe eines Recruiter die eines Projekt- oder Prozessmanagers.
Die richtige Balance als Dreifachspagat.
All diese drei Aspekte sind wesentlich für den Recruiting-Erfolg.
Die Krux dabei: die drei Aspekte begrenzen sich gegenseitig. Volle Kraft auf den Kontakt lässt leicht Zeit und Kosten explodieren und verteuert damit die Administration. Ähnliches gilt, wenn der ganze Fokus auf möglichst umfassende Informationen über Kandidaten liegt. Und schränkt auch möglicherweise die Qualität des Kontakts (Stichwort Candidate Experience) ein, wenn für diese Informationen umso mehr Auswahlinstrumente gebraucht werden.
Die drei Aspekte sind also fast wie mit einem Gummiring verbunden: je mehr ich an einer Ecke investiere, muss ich an einer anderen Ecke nachgeben. Damit erübrigt sich die Frage, ob Recruiting zum Sales-Job wird. Das ist er ohnehin schon, genauso wie ein Projektmanagement-Job oder ein Profiler-Job, oder welchen Vergleich ich auch immer da einsetzen möchte. Für jedes Unternehmen, für jede Stelle gilt es jedes Mal aufs Neue, die richtige und passende Balance zwischen diesen drei Aspekten zu finden.
Das ist die eigentliche Kunst des Recruiters!
Bild: flickr.com, List_84