In zwei Tagen eröffnet die LearnTec, die Messe für e-Learning, in Karlsruhe zum 21. mal. So weit, so unbedeutend für den durchschnittlichen österreichischen Personalisten. Doch dann klingelte vor ein paar Tagen das Telefon …
Eigentlich dachte ich, die Zeiten des uneingeschränkten Glaubens an die Segnungen des elektronischen Lernens seien längst vorbei. Die grenzenlosen Hoffnungen an e-Learnings sei auch in den letzten Personalabteilungen längst gewichen. Doch mit nur einem Telefonat begann ich zu zweifeln.
Die freundliche Dame am anderen Ende der Leitung hatte Glück, als sie mich noch auf den Weg zu einem Termin erreichte. Sie wird sich kurz halten, versprach sie mir und erklärte mir, dass ihr Unternehmen neue Lernformate entwickelt. Ganz neue Lernformate! Nach dem aktuellen Stand der Technik! Mit erstklassigen Referenzen! Diese Formate werden auch heuer groß auf der Learntec präsentiert werden.
Die Learntec, die Fachmesse für “Lernen mit neuen Medien”, versucht seit 1992 die Segnungen der Informationstechnologie für das Lernen zu präsentieren. IT- und Medienunternehmen, die Computer in allen Formen und nach allen Regeln der Kunst programmieren, bieten ihre (Progammier-)Kunst auch für das menschliche Lernen in Unternehmen an. In Zeiten des e-Learning Booms versammelten sich fast 350 Aussteller und man durfte fast 10 Tausend Besucher an nur drei Tagen begrüßen. 2010, als man sich schon mit 5.000 Besuchern sehr zufrieden gab, öffnete man die Messe schließlich auch für analoge Formen des Lernens. Man wünschte sich Trainer, Coaches und andere Pädagogen als neue Zielgruppe. Doch die wollten sich so recht nicht für die Messe erwärmen.
Doch zurück zum Telefonat. Die neuen Formate, die ihr Unternehmen da segensreich anpries, sollen das Lernen in Unternehmen auf vielfältige Weise positive unterstützen. Der Schlüssel: effiziente Kommunikation mit dem Lerner. Das Lernangebot ist einfach übers Web auszurollen und bringt den Stoff einer ganztägigen Schulungen gut und gern in 20 Minuten rüber. Ihre Zauberformel: audiovisuelle Lernkommunikation.
Neuer Begriff, bekannte Versprechungen.
Die audiovisuelle Lernkommunikation bedeute enorme Zeitersparnis bei Schulungen und minimierte Reisekosten obendrein, versprach mir die freundliche Dame. In einem Termin möchte sie genaueres erzählen. Ich könnte sie auch gerne ihren Stand auf der Learntec besuchen. Selbst Audi arbeite mit ihnen, das allein garantiere schon für Qualität. Die audiovisuelle Lernkommunikation ist einfach der Zukunftsweg, den man nicht verpassen sollte.
Halt, dachte ich mir, das klingt ja alles nach den alten Versprechungen des e-Learnings (die übrigens in der Praxis nie eingelöst werden konnten). Warum sie ihr Angebot nicht einfach e-Learning benenne, wollte ich noch rasch wissen. “Weil viele Personalisten den Begriff kaum kennen oder ganz falsche Vorstellungen davon haben”, war die klare Antwort, “die audiovisuelle Lernkommunikation könne einfach mehr, was auch die moderne Hirnforschung in vielen Studien bestätige.”
Neue Versprechungen, auch nicht erfüllt!
“Jetzt wird´s aber richtig interessant”, dachte ich mir. “Die Studien würde ich gerne kennenlernen”. Ja, gerne, versprach die freundliche Damen – in einem persönlichen Termin oder eben gerne auf der Messe. O.k., netter Versuch, doch Karlsruhe ist mir dann doch zu weit und meine Termine vergebe ich auch nicht so leichtfertig. “Aber ich würd mich gerne einlesen und dann gegebenfalls auf das Terminangebot zurückkommen.” Und schon hatte ich das Versprechen, die Quellen mal vorab per Email zu bekommen.
Keine 10 Minuten später hatte ich das Email – mit einer Nichtssagenden Unternehmensvorstellung und einem Link auf die Homepage des Unternehmens. Studien oder Quellen? Fehlanzeige! Also fragte ich nochmal höflich nach. Es ist wohl keine Überraschung, dass ich bis heute auf Antwort warte.
Wenn sich e-Learning von e-Learning distanziert
Es gibt sie also noch immer, die IT- und Medienfirmen die in Goldgräberstimmung versuchen, ihre Lernprogramme am Markt zu platzieren. Scheinbar geht das mit dem strapazierten Begriff “e-Learning” nicht mehr so leicht. Da braucht es schon kreative Wortschöpfungen á la “audiovisuelle Lernkommunikation”. Und es braucht scheinbar noch viel mehr, um sich Gehör zu verschaffen. Zusätzlich bemüht man noch klingende Namen von Referenzkunden und falls dann gar nichts mehr hilft muss dann noch die Hirnforschung herhalten (die kaum Befunde zum Lernen mit Computern liefern kann; und wenn, dann kaum mit klaren Ergebnisse). Und zu guter Letzt garniert man das alles noch mit einer internationalen Fachmesse (die selbst schon ihre besten Tage gesehen hat).
Die Learntec als Spiegel einer Branche?
Möglicherweise ist das ja alles ein Beleg, dass Personalabteilungen ja doch kritischer auf (kaum erfüllbare) Versprechungen von Dienstleistern schauen, selbst wenn sie tief in die Trickkiste des kalten Vertriebes greifen.
Vielleicht zeigt das alles aber auch die Hilflosigkeit einer ganzen Branche auf, die sich seit über 20 Jahren das menschliche Lernen mit elektronischen Medien propagiert (aber nur selten das menschliche Lernen dabei fokussiert). Die Learntec als Leitmesse (lt. Eigendefinition) ist da wohl nur der Spiegel dieser Branche. Wenn sie ab 29. Jänner mit 200 Ausstellern wieder über die Bühne geht, sind das knapp mehr als die Hälfte in in den besten Jahren.
Noch viel befremdlicher finde ich aber, wenn man Besucher mit allerlei Buzz-Words konfrontiert und verspricht, “in die IT-Welt des 21. Jahrhunderts einzutauchen”. Eine Messe, die den Lerner der Zukunft so futuristisch auf ihrem Titelbild präsentiert, kann den Menschen noch nicht entdeckt haben, sondern stellt nach wie vor den Computer als maßgebliches Lerninstrument in den Vordergrund. Und auch Anbieter, wie die nette Dame am Telefon, haben offensichtlich noch nicht verstanden, dass menschliches Lernen so sicher nicht funktioniert.
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